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Im Jahr 2009 begann die Kulturstiftung Hohenmölsen mit der Errichtung eines symbolischen kulturhistorischen Weges. Dieser Weg, in Form der maßstabsgerecht verkleinerten Abbildung einer Landkarte vor der ‚Überbaggerung‘ von 14 Ortschaften durch den Tagebau Profen, entstand am Rande des Freizeitparkes Pirkau und soll die Erinnerung wach halten. Entlang der gepflasterten Route wurden die durch den Braunkohlenabbau verlorenen Ortschaften in ihrem stilisierten Umriss mit der Verlegung durch rote Granitplatten markiert und mit dem jeweiligen Ortsnamen versehen. Die weiterführende Aufgabestellung bestand darin, unter Einbeziehung des Rundweges einen nachhaltigen Erinnerungs- und Gedenkort zu schaffen, welcher den Stiftungsgedanken und damit die Bedürfnisse der hier lebenden Menschen aufgreift, geschichtliche Bezüge herstellt und den Weg in eine positive Zukunft weist. Ein Ort zum Erinnern und Verweilen.
Im letzten Jahrhundert wurden in Mitteldeutschland ca. 52.900 Menschen im Zusammenhang mit der Erschließung von Braunkohlelagerstätten umgesiedelt. Teils freiwillig, teils unfreiwillig – die Einzelschicksale verschwimmen in der Masse. Ein besonders schmerzlicher Inhalt dieser Biografien, welcher alle vereint, ist der Verlust der Heimat. Aufgrund eines steigenden Energiebedarfes infolge der Industriealisierung gingen ganze Ortschaften mitsamt ihrer kulturellen, architektonischen und geschichtlichen Traditionen ebenso verloren wie gesellschaftliche Netzwerke, Beziehungen und familiäre Strukturen. Allein dem Tagebau Profen fielen 14 Ortschaften zum Opfer. Orte mit Kirchen, Schulen, Kindergärten, Gaststätten, Bauernhöfen, Wohnhäuser mit gepflegten Gärten, Felder, Wiesen und u.v.m. Orte aber auch und vor allem mit Menschen, ihren Wurzeln und ihren Lebenswerken.
Was bleibt nach deren Umsiedlung, nach dem Abriss der letzten Häuser, Mauern und Wege? Was bleibt nach der Fällung der letzten Bäume, dem Abtrag der letzten Felder und Wiesen?
Die räumliche Leere, identitätslose Flächen, ein Nichts – die Geschichte verstreut, mit Abraumbaggern über Förderbänder verteilt droht sie mit dem Verlust der Menschen ein zweites und endgültiges Mal verloren zu gehen. Dies zu vermeiden, bedarf es der lebendigen Erinnerung. Die Biografien der Menschen, die Geschichten, Bilder müssen auch für die nachwachsenden Generationen einen würdigen Platz und einen Ort der Bewahrung finden. Sie leben längst an anderen Orten, in neuen Häusern, mit neuen Mauern und neuen Wegen, doch sie eint noch immer die Gemeinschaft, das gleiche Schicksal, die Herkunft – so war es schon immer.
Erinnern ist nicht gleichbedeutend mit dem Verfall in sentimentale Trauer. Die von der Umsiedlung betroffenen Menschen haben ihre alte Heimat verloren, die neuen Herausforderungen angenommen, ein neues Gefüge eingerichtet und die Chancen auf ein neues Leben in einem selbst gestalteten Umfeld ergriffen. Die Anpassungsfähigkeit des Menschen an eine sich permanent verändernde Umwelt ist die eigentliche Botschaft – eine Kernaussage. Der Umsiedlungsprozess mit all seinen Facetten, kann im übertragenen Sinne als Vorbild für andere Lebensbereiche dienen und den Weg in eine positive Zukunft weisen. Er verdeutlicht, dass eine aktive Beteiligung des Einzelnen zu einem Mehrwert für alle – für die Gemeinschaft führen kann. Mit der Sommerakademie und zahlreichen medialen Publikationen begann die Kulturstiftung Hohenmölsen, in den vergangenen Jahren, den Umsiedlungsprozess und seine Auswirkungen zu dokumentieren. Der nächste Schritt ist die nachhaltige Verknüpfung der einzelnen Maßnahmen zu einem mit allen Sinnen erlebbaren Gesamtkonzept.
Als Basis soll am Eingang zum Freizeitpark Mondsee, auf neutralem, aufgeschüttetem Boden und frei von geschichtlichen Assoziationen, ein interessanter Ort entstehen – ein Ort der Gemeinschaft.
Der Ort zum Erinnern am Mondsee, wird sehr unterschiedliche Emotionen wecken. Grundsätzlich werden Menschen mit gänzlich verschiedenem Hintergrund und individuellen Empfindungen die Gedenkstätte besuchen. Die potentiellen Besucher gliedern sich in zwei Hauptgruppen: 1. ehemalige Bewohner der Abrissdörfer, bzw. deren Verwandte mit emotionalem Bezug 2. interessierte Besucher ohne emotionalen Bezug zu den verlorenen Orten. Wie kann ein Ort, der sich vordergründig mit der Geschichte und dem Leben der ehemaligen Bewohner befasst für nicht- bzw. nur peripher betroffene Besucher interessant gestaltet werden?
Hierzu ist es wichtig die unterschiedlichen und vielseitigen Erwartungen der beiden Gruppen zu analysieren und gestalterisch einzubeziehen.
Ein tragendes Element im Gesamtkonzept bildet die Verbindung zwischen dem vorhandenen Rundweg und einem Symbol, welches aufgrund seiner Komplexität einen großen Interpretationsspielraum bietet und die vielfältigen Ansätze verbindet. Die Idee eines Labyrinthes entstand aus dessen bedeutungsvoller und symbolischer Vergangenheit. Denn schon seit mehr als 4000 Jahren faszinieren Labyrinthe die Menschen auf der ganzen Welt. Als Entstehungsort gilt oft Kreta, allerdings entwickelten sie sich, unabhängig davon, auch in Lateinamerika, Afrika und Indien. Auch in Deutschland gibt es bemerkenswerte Beispiele. Was genau sind Labyrinthe? Labyrinthe sind in den meisten Fällen keine Irrgärten, d.h. es gibt weder Sackgassen, noch kann man sich in ihnen verlaufen. Vielmehr handelt es sich um ein verschlungenes System von Pfaden, die den Gehenden auf zahlreichen Umwegen zu einem Ziel – meist dem Mittelpunkt des Labyrinths – und anschließend wieder hinaus führen. Das Labyrinth ist also ein einziger langer Weg, der sich in Umläufen einer Mitte nähert, die, obwohl eigentlich nah, plötzlich unendlich weit entfernt scheint. Labyrinthe treten in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen auf, beispielsweise als Bauwerke, Ornamente, Mosaike, Pflanzungen aber auch als Zeichnungen oder Schnitzereien. Was fasziniert die Menschen so daran? Das Labyrinth hat eine starke Symbolkraft – wahrscheinlich ist es genau das, was es für die Menschen so anziehend macht.
Der Titel‚ Wandelgänge am Mondsee‘ nimmt Bezug auf das Durchschreiten der Wege im Labyrinth und die bewusste Wahrnehmung des Ortes mit allen Sinnen. Die Anlage gliedert sich in drei Ebenen, die Räumliche, die Sensitive und die Virtuelle.
Die räumliche Ebene umfasst alle materiellen Bestandteile mit folgenden Elementen:
-Das Tor symbolisiert den Eingang zu einem anderen Ort.
-Der Rundweg verbindet die verschwundenen Orte, nicht willkürlich, sondern analog, maßstäblich der ursprünglichen Kartografie.
-Die Eingänge ins Labyrinth befinden sich an den verschwundenen Orten entlang des Rundweges und symbolisieren den Aufbruch ins ungewisse Neuland.
-Die Wege im Labyrinth symbolisieren die verzweigten unvorhersehbaren Lebenswege der Menschen vom Leben als Nomaden hin zum ortsansässigen Konsumenten, der aufgrund global wachsender Bedürfnisse seine Heimat verliert.
-Die Plätze im Labyrinth laden zum Verweilen ein und dienen als themenbezogene Informationspunkte mit individuellem Charakter. Sie beleuchten im geschichtlichen Kontext die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge.
-Der zentrale Platz bildet den Mittelpunkt – das Ziel aller Anstrengungen. Er symbolisiert das Zentrum, den gleichberechtigten Mittelpunkt der Gemeinschaft, den Ausgangspunkt der menschlichen und damit verbundenen sozialen-, kulturellen- und wirtschaftlichen Entwicklung vom Höhlenfeuer und Industrialisierung bis zur Energiediskussion der Gegenwart.
-Die Aussichtsplattform ermöglicht einen räumlichen Gesamteindruck
In Städten, Dörfern, Wäldern, Höhlen, Tälern, auf Feldern, Wiesen und Bergen – strahlend, verborgen manchmal vergessen, erinnern sie als stumme Zeugen an besondere Menschen, an Kriege und Frieden, Nöte und Ängste, Siege und Niederlagen – kurz an Geschichte. Geeint vom Anspruch an Bewahrung bedeutender Relikte, Traditionen und Augenblicke der Vergangenheit, harren sie den Naturgewalten. Die Welt ist durchsetzt von solchen Monumenten und Gedenkstätten, die nicht selten und oft einzig durch schiere Größe beeindrucken. In Faltblättern und Filmen werden Informationen präsentiert, mit dem Ziel, ihre Entstehung, Existenz und die notwendigen Maßnahmen ihrer Erhaltung zu legitimieren. Im Laufe von Jahren und Jahrzenten wächst die Gefahr, dass sich die historische Botschaft immer weiter von den subjektiven Vorstellungen und Erwartungen der Menschen entfernt. Einfluss und Bedeutung auf Kultur und Leben gehen verloren. Aus diesem Grund sind die permanente und nachhaltige Reflexion der Gedenkstätte mit der jeweiligen Zeit, die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart und die dadurch erzeugte Identifikation einer der elementarsten Bestandteile unseres Konzeptes. Im Gegensatz zu anderen Orten der Erinnerung bestehen die ‚Wandelgänge am Mondsee‘ aus drei Ebenen. Der konventionellen räumlichen- und sensitiven Ebene, wurde noch eine dritte – die virtuelle Ebene – hinzugefügt. Sie ermöglicht eine aktive Beteiligung der Besucher und erhöht gleichzeitig deren emotionalen Bezug.
Ansätze zur Wahrnehmung:
Die räumliche Ebene ist reduziert auf wenige Elemente, die vor allem von den Hainbuchenhecken dominiert werden. Das sich jahreszeitlich verändernde und jährlich wiederkehrende Farb-, Klang- und Duftspiel der Pflanzen stellt den Bezug zur Natur her und soll die Menschen bewusst aus Ihren alltäglichen Wahrnehmungen herausreißen. Die Bewegung im Labyrinth, mit seinen verschlungenen Wegen bietet die Möglichkeit, durch die bewusste Orientierung und Konzentration, sich von den Alltagsgedanken zu befreien. Für Kinder eröffnen sich vielseitige Möglichkeiten der Beschäftigung in einer einfachen und natürlichen Umgebung. Die Besonderheit des Ortes und die Tiefe der menschlichen Nähe im bewegten Spiel schaffen prägende Erinnerungen, die zur Festigung der Heimatliebe beitragen. Eltern können gemeinsam mit Ihren Kindern, im Zusammenspiel mit dem Mondsee und den vielseitigen Naturerlebnissen im Umfeld, einen abwechslungsreichen Tag oder Urlaub verbringen. Ältere Menschen können auf dem Weg durch das Labyrinth bzw. einem der zahlreichen Verweilplätze Ruhe und Besinnlichkeit oder die Nähe – den Kontakt zu anderen Menschen finden.
Die sensitive Ebene ist eng verbunden mit der räumlichen. Das Erlebnis vom Wandel der Jahreszeiten ist das größte Geschenk an die Besucher. Eine andere Wahrnehmung der Zeit durch die Bewegung in einer vordergründig monotonen Umgebung, wirkt beruhigend und stimulierend zugleich. Auch die reduzierte Darstellung von Informationen trägt dazu bei. Der Tatsache, dass es sich bei den 14 verlorenen Orten im Profener Braunkohlentagebau nur um einen kleinen Teil der durch den Bergbau verlorenen Orte in ganz Mitteldeutschland handelt wird mittels einer zurückhaltenden Gestaltung Rechnung getragen ohne die jeweilige Einzigartigkeit auszulöschen. Nicht dem Einzelschicksal soll ein Denkmal gesetzt werden, sondern dem gemeinschaftlichen Verständnis von den vielschichtigen Zusammenhängen und Folgen. Die entlang der Route gelegenen Orte stehen exemplarisch für die gesamte Region und dienen mit Ihren Einzelschicksalen, die in der dritten – der virtuellen Ebene dargestellt werden, als Beispiele zur Beleuchtung der grundlegenden Inhalte.
Die virtuelle Ebene ist unabhängig von den ersten beiden. Sie existiert rein digital und könnte immer und überall verfügbar gestaltet werden. Ihre Wahrnehmung entspräche jedoch nur dem Gewöhnlichen. Ihr Nachhall wäre sehr kurzzeitig. Das Ziel einer Verknüpfung der realen räumlichen Ebene mit der Virtuellen, durch bereits vorhandene Technologien, ermöglicht eine einprägsame, tiefere Wahrnehmung und schafft dadurch eine bessere und nachhaltigere Darstellung der Inhalte. Jedem Ort, Platz oder Weg werden detaillierte Informationen zugeordnet. Dies können z.B. sein:
– Daten zu den verlorenen Orten – Daten zu Bewohnern, Stammbäume, Besonderheiten – architektonische Details, Impressionen – Daten zur Braunkohle, zum Tagebau, zu Technologien, zur Rekultivierung – Daten zu anderen Bodenschätzen und Energiequellen – Informationen zur Energieversorgung, zur Energieeinsparung – Maßnahmen zum Umweltschutz – Darstellung von Zukunftstechnologien und deren Anwendung – philosophische Betrachtungen im Bezug zum Leben in der Vergangenheit und Zukunft – geschichtliche Ereignisse der Region im Kontext der jeweiligen Zeit – biologische, chemische, physikalische und astronomische Zusammenhänge – u.v.m. Diese Informationen können durch die virtuelle Aufarbeitung multimedial in Wort, Bild und Ton dargestellt werden.
Die Möglichkeiten dieser Technologie sind sehr vielfältig, zukunftsweisend und sukzessive erweiterbar. Das Besondere stellt hierbei die selektive, themenbezogene Informationsbereitstellung dar. Diese funktioniert wie folgt: – die Besucher werden mit einen tragbaren Informationsspeicher ausgestattet, bzw. nutzen eigene Geräte – auf dem Gerät ist eine Software installiert bzw. über ein Onlineportal abrufbar – die Geräte werden am Eingang durch scannen eines Barcodes über die im Gerät integrierte Kamera aktiviert (mobile tagging) – auf dem Display öffnet sich ein Hauptmenü, nach der Sprachauswahl kann der Besucher frei aus verschiedenen Themenbereichen wählen – Intelligente Software wird in Zukunft den Nutzer bereits erkennen, in eine bestimmte Gruppe einordnen und die Themenauswahl dementsprechend anpassen – auch eine barrierefreie Informationsbereitstellung ist möglich – nach Auswahl der Themen bestünde die Möglichkeit einer Führung anhand einer vom System vorgegebenen Route bzw. selbständige Erarbeitung von Informationen durch vom System gestellte Aufgaben zu verschiedenen Themen – jeder Ort würde mittels Barcode, die ihm zugewiesenen Informationen bereitstellen und die Besucher mit Verweis auf den nächsten Ort immer in Bewegung halten. Ziel einer Erschließung der Anlage in Form eines sachbezogenen Themengartens, ist die Verbindung von Bewegung, Spiel und Informationsvermittlung in spielerischer Form. Speziell für Schulklassen bestünde die Möglichkeit lehrplanspezifische Themen, mit konkreten Aufgabenstellungen leichter und anschaulich zu vermitteln und Bezüge zu anderen Bereichen herzustellen. Die Ängste und Vorbehalte älterer Menschen vor dem Umgang mit der Computertechnologie können durch das gemeinsame Durchschreiten der Anlage mit jungen Menschen abgebaut werden. Die Auseinandersetzung und Zuwendung bedarf jedoch nicht zwingendermaßen der technisch gestützten Nutzung. In dieses System können auch Verweise zu Referenzstandorten in der Umgebung integriert und touristische Routen besser vernetzt werden. Die drei Ebenen liefern den Ausgangspunkt für eine Reise, bei der der Weg das Ziel ist. Jede Generation wird Ihre eigenen Vorstellungen einbringen, kann jedoch auf den Erfahrungen der vorherigen aufbauen und von ihnen profitieren. Die wichtigste Lehre aus der Reise soll immer die Erkenntnis eines Strebens im Sinne der Gemeinschaft sein und damit verschiedene Epochen miteinander verbinden.
Auftraggeber: Kulturstiftung Hohenmölsen c/o Sabine Meinhardt Am Markt 1 - 06679 Hohenmölsen
Konzept, Fotografie und Copyright: Markus Reichenbach – Architekt –Karl-Liebknecht-Sraße 88, 04275 Leipzig